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© 2002 A. Krause |
Letzte Aktualisierung: Sonntag, 12. Januar 2003 |
In den Kampfkünsten ist die Praxis des „stillen
Sitzens“ auf den Knien (jap.: Seiza)
weit verbreitet. Im Karate-Dõ ist
diese Übung als „Mokusõ“ bekannt, was
wörtlich übersetzt „Ruhiges Denken“ bedeutet. Dem Sinn nach sollte es besser
mit „das Denken beruhigen“ übersetzt werden. Sie wird zu Anfang und Ende jeder
Übungseinheit durchgeführt. Ihren Ursprung hat sie im Zen-Buddhismus. Im Mittelpunkt der religiösen Praxis dieser
buddhistischen Schulen steht die Übung der Versenkung (Zazen). In Japan und China hat der Geist des Zen lange Zeit die
Kampfkünste beeinflusst und geprägt[1]. A. Krause I. Einführung Seiza ist eine spezielle
Methode zu sitzen, die in der Kunst des Iai-Dõ weit verbreitet ist, aber auch
als Psychotherapie verwendet wird. Die Übung des Seiza kann in das Training der
Kampfkunst eingebunden sein, aber auch unabhängig davon durchgeführt werden. „Stilles Sitzen“ in der
Seiza-Position kann helfen, die Ängste der eigenen Existenz und die diesen
zugrundeliegende Furcht vor der eigenen Vergänglichkeit hinter sich zu lassen[3].
Seiza ist ein ausgezeichnetes Mittel, um die Körperfunktionen zu normalisieren.
Das Wesen der Übung besteht darin, die Welt so zu sehen wie sie wirklich ist,
statt ständig in unserer Vorstellung wie die Welt nach unseren Wünschen sein
sollte zu verweilen. Anders gewendet: Seiza ist eine Methode die Illusionen
unseres Alltags zu durchschauen. Beim stillen Sitzen werden die endlosen Ketten
von Gedanken, die für die eigene innere Unruhe verantwortlich sind,
durchbrochen und der klare Wind des gegenwärtigen Augenblicks, so wie das Leben
tatsächlich ist, weht uns entgegen[4]. II. Die Haltung des Körpers Um die Seiza-Position
einzunehmen, geht man mit geöffneten Knien in die Hocke und setzt dann das
linke Knie auf den Boden. Das rechte Knie wird ungefähr zwei Faustbreiten
daneben abgelegt[5].
Anschließend legt man die noch aufgestellten Füße flach auf den Boden, so dass
die großen Zehen übereinander liegen. Abschließend wird das Gesäß auf die
Hacken abgesetzt. Der Rücken wird gerade
gemacht und man neigt die Lendenwirbelsäule
leicht nach vorne, so dass die Wirbelsäule ihre natürliche S-Form
einnehmen kann. Dabei muss man unbedingt vermeiden, dass die Lendenwirbelsäule
nach hinten durchhängt oder Rücken insgesamt zu weit zurückgelehnt wird, da
ansonsten schmerzhafte Muskelverspannungen entstehen. Das Gewicht sollte
zwischen Füßen und Knien verteilt sein. Der Kopf wird aufrecht
gehalten. Die Ohren befinden sich in einer Linie über der Schulter und die Nase
richtet man über dem Gürtelknoten aus. Dadurch wird der Nacken minimal nach
vorne geneigt. Im Iai-Do ist dies sehr wichtig, da dadurch seme (=Druck nach
vorne) entsteht. Das Kinn wird ganz leicht eingezogen und der Nacken
gleichzeitig gestreckt. Man hat das Gefühl, als ob der Kopf an den Haaren
gerade nach oben gezogen wird. Um den Körper
auszubalancieren kreist man aus der Hüfte heraus leicht mit dem Oberkörper,
wobei der Radius langsam verringert wird, bis man in der unbewegten Mitte zur
Ruhe kommt. Die Zentrierung des Körpers ist wichtig um Muskelkrämpfe und
–verhärtungen zu vermeiden. Ein andere Methode, die
richtige Position des Körpers zu finden besteht darin, sich vorzustellen, wie
im inneren des Körpers ein Pendel von der Schädeldecke herunterhängt. Das
Gewicht stellt man sich dabei in der Höhe des eigenen Tanden (Punkt ca. 3 Fingerbreit unter dem eigenen Bauchnabel) vor.
Lehnt man sich zu weit vor oder zurück, so verlässt das Pendel die Körpermitte.
Richtig ausgerichtet befindet sich das Gewicht in der vorderen Hälfte des Hara (= der Unterbauch zwischen den Hüftgelenken). Die Schultern sind entspannt
und die Arme fallen natürlich nach unten. Die rechte Hand wird mit der
Innenfläche nach oben so auf die Oberschenkel gelegt, dass die Kleinfingerseite
den Unterbauch berührt. Die linke Hand wird in gleicher Weise in die rechte
Hand gelegt, die Daumenkuppen berühren sich ohne Spannung. Auf diese Art bilden
Daumen und Finger eine ovale Form, kurz unterhalb des Nabels. Dieser Punkt wird
Tanden oder auch Seika-Tanden genannt und entspricht in etwa dem Schwerpunkt
unseres Körpers. Die linke Hand über der
rechten symbolisiert den ruhigen Pol (das Passive – „Sei“ oder „In“ auf
japanisch), dass den aktiven Pol („Do“ oder „Yo“) bedeckt. Die Daumen vereinen
die beiden Gegensätze. Das Tanden
wird als das Zentrum des Seins angesehen[6],
es ist vom Hara umschlossen. Von
diesem Punkt aus wird nach japanischer Auffassung das Leben gelebt. Teilweise werden
verschiedene Variationen der beschriebenen Handhaltung benutzt[7],
die beschriebene stellt aber die ausgeglichenste und entspannteste Methode des
Sitzen dar. Ohne den Kopf nach vorne
fallen zu lassen, senkt man den Blick auf einen Punkt ungefähr einen Meter vor
den eigenen Knien. Die Nase sollte im Sichtfeld sein, ansonsten hat man den
Kopf nach vorne fallen lassen. Diese Blickhaltung hilft die Augen halb zu
schließen und somit die meisten störenden visuellen Eindrücke auszuschalten,
ohne aber schläfrig zu werden. Die Zunge liegt am Gaumen an
und wird leicht gegen obere Zahnreihe gepresst. Die Kiefer liegen locker
aufeinander. Die Luft wird aus dem Zwischenraum zwischen Zunge und Mundraum
herausgesaugt. So stoppt man die Speichelproduktion – man muss nicht schlucken. III. Die Atmung Die Atmung stellt einen der
wichtigsten Aspekte der Übung dar. Sie wird auf ganz spezielle Art und Weise
ausgeführt. Die alten Taoisten glaubten, dass der Atem das Leben selbst sei und
jeder Person eine bestimmte Menge an Atemzügen zur Verfügung steht. Aus diesem
Grunde wurde ruhiger, langsamer Atem als Garant für ein langes Leben angesehen. Man atmet ruhig und ohne
Spannung zum Solar-Plexus[8]
ein. Der Bauch dehnt sich dabei nach vorne aus, während der Oberkörper sich
ohne jegliche Muskelanspannung weitet. Die Schultern sollten sich dabei
überhaupt nicht bewegen. Allerdings sollten sie auch nicht künstlich heruntergedrückt
werden. Man überlässt sie einfach der Schwerkraft. Die Einatmung endet ganz
natürlich, wenn die Lungen gefüllt sind und es nicht weiter geht. Der Atem
selbst bestimmt den Wechsel zur Ausatmung. Die Ausatmung sollte noch sanfter
als die Einatmung sein. Man sollte dabei kein Geräusch erzeugen, sondern
einfach nur ausatmen, indem man den ausgedehnten Bauch in sich zusammenfallen
lässt. Die Ausatmung wird dabei solange fortgesetzt, bis man das Verlangen nach
Einatmung verspürt, der Wechsel geschieht wiederum automatisch und natürlich.
Während des Atemzyklus sollte man darauf achten, dass der Bauch nicht zu lasch
wird, vielmehr bleibt die Bauchmuskulatur in ihrer natürlichen Spannung. Auf
keinen Fall sollte sie aber künstlich gespannt werden. Den Atemrhythmus darf man
nicht erzwingen. Mit fortgesetzter Übung wird er sich vielmehr ganz von selbst
verlangsamen. In einigen Fällen sinkt die Atemfrequenz auf zwei Atemzüge pro
Minute. Man sollte sich dies aber nicht als Ziel setzen, sondern einfach nur
ruhig und natürlich atmen. IV. Die Geisteshaltung Indem man dem natürlichen
Rhythmus seiner Atmung folgt, fängt man an zunächst Ein- und Ausatmung
innerlich zu zählen[9]. Mit
steigender Konzentration wird nur noch die Ausatmung gezählt – immer von eins bis
zehn. Kommt man dabei durcheinander, so fängt man einfach wieder von vorne an
und kümmert sich nicht um die letzte Zahl. Diese ist nicht wichtig. Es kommt
nicht darauf an eine bestimmte Zahl zu erreichen – einfach zählen. Aufkommende Gedanken nimmt
man zwar zur Kenntnis, man haftet aber nicht an ihnen. Vielmehr soll man sie
einfach nur beobachten und ziehen lassen. Man darf ihnen nicht hinterherhängen.
Auf keinen Fall sollte man versuchen irgendwelche Probleme zu lösen oder
Argumentationen zu entwickeln. Statt dessen konzentriert man sich einfach bloß
auf das Zählen. Alle Gedanken haben den gleichen Wert wenn man sitzt – gar
keinen. Wenn man sitzt, dann sitzt man, einfach so ... . Man kehrt immer wieder
zur Atmung zurück. Das gilt für alle störenden Gedanken, Halluzinationen,
Panik, Furcht und andere Illusionen, die vielleicht aus dem Unterbewusstsein
auftauchen. Einfach nur sitzen ... Kommt der Strom der Gedanken
langsam zur Ruhe, dann kann man aufhören zu zählen und man sitzt nur noch.
Nehmen die Gedanken unsere Aufmerksamkeit wieder gefangen, so beginnt man
einfach erneut mit dem Zählen. V. Sonstiges Die Übung entfaltet nur ihre
volle Wirkung, wenn man sie regelmäßig wiederholt. Optimal sind jeweils 30
Minuten. Erst früh am Morgen und dann noch einmal abends. Am Anfang ist es
allerdings fast unmöglich so lange durchzuhalten, da die Beine nicht flexibel
genug sind und die Blutzirkulation ins Stocken gerät. Fangen die Beine an
einzuschlafen, so dann kann man aus den Knien heraus die Hüfte anheben und so
den Blutfluss wieder zulassen. Das Einschlafen der Beine
kann vermieden werden, wenn man eine zusammengerollte Decke zwischen Hüften und
Hacken klemmt, um die Sitzposition zu erhöhen. Mit etwas Schmerz muss man im
Seiza zwar rechnen, trotzdem dient die Übung nicht dem Test der Willenskraft,
indem man versucht solange wie möglich durchzuhalten. Idealerweise sitzt man in
einem ruhigen Raum, mit geringer Beleuchtung und wenigen optischen und anderen
Ablenkungen. Musik ist fehl am Platze, da Sinn der Übung gerade die Beseitigung
von Zerstreuung und Ablenkung ist. Mit der Zeit ist man erfahren genug, um die
Übung an beliebigen Plätzen durchzuführen. Lärm und andere Ablenkungen
erreichen einen dann nicht mehr. Nach dem Sitzen müssen die
Beine aufgelockert werden. Dazu beugt man sich nach vorn und legt die Stirn auf
den Boden. Die Hände werden mit der Innenfläche nach oben neben den Kopf gelegt
und leicht angehoben. Diese Haltung symbolisiert Offenheit und Akzeptanz für
alles, was diese Welt uns zu bieten hat. Verharrt man eine Weile in dieser
Position, bevor man sich aufrichtet, dann kann man länger sitzen. Es gibt unzählige Bücher zur
Selbsthilfe und Meditation und ebenso viele (gefährliche) Gurus, die bereits
sind (gegen ein Entgelt) geheime Methoden zur Heilung der Seele zu
unterrichten. Aber alles was wirklich notwendig ist, ist ein Platz, an dem man
in Ruhe gelassen wird und einige ruhige Atemzüge. Wenn man Unterstützung
braucht, dann kann Seiza auch in der Gruppe geübt werden, dies ist aber nicht
notwendig. Einfach sitzen ... nur
sitzen. [1] Ausführliche Erläuterungen zu der engen Verbindung zwischen Zen und Budõ in Taisen Deshimaru-Roshi „Zen in den Kampfkünsten Japans“ [2] Werner Lind „Ostasiatische Kampfkünste – Das Lexikon“, Berlin 1995, S. 587f. [3] Diese Geisteshaltung des Zen, die den Tod nicht fürchtet, machte diese Art von Geistesschulung für die Kriegerkasten Chinas und Japans attraktiv. [4] Im Zen ist der Ausdruck „hier und jetzt“ von überragender Bedeutung. [5] Maßstab für den Abstand der Knie ist die Breite der eigenen Hüfte. Der Abstand zwischen den Teilen der Knie, auf den die Last ruht, sollte der eigenen Hüftbreite entsprechen. Dies bietet die benötigte Stabilität. [6] Tatsächlich befindet sich dort nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die größte Ansammlung von Nervenzellen außerhalb von Gehirn und Rückenmark. [7] Die beschriebene Handhaltung wird im Zen „weder Berg noch Tal“ genannt und geht auf den meditierenden historischen Buddha Sidharta Gautama (563 v. Chr. bis 483 v. Chr.) zurück. Im Karate-Dõ ist die beschriebene Handhaltung eher unüblich. Bei den Übungen zu Beginn und Ende der Übungsstunde ruhen die Arme auf den Oberschenkeln. Die Ellenbogen fallen natürlich nach innen und sind nicht nach außen gestellt. Übt man für sich ist man freilich daran nicht gebunden. [8] Das Nervengeflecht kurz unterhalb des Brustbeins. [9] Statt der Methode den Atem zu zählen ist auch die ausschließliche Konzentration auf die Atmung bekannt. Die Zählmethode ist allerdings für Anfänger gut geeignet. |